Spuren der Flucht auf Lesbos, www.einfachmalraus.net
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Lesbos – Flüchtlings-Hotspot in der Ägäis

Die griechische Ägäisinsel Lesbos ist seit knapp einem Jahr in aller Munde. Es gibt kaum eine Nachrichtensendung oder Zeitungsseite in der nicht über die drittgrößte, griechische Insel berichtet wird. Im April 2016 war ich als Rettungsschwimmer der DLRG (Deutsche Lebens-Rettung-Gesellschaft) auf dem Seenotkreuzer Minden der DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger) eingesetzt. Der Einsatz auf der Insel konnte mir einen klaren Einblick in die Situation vor Ort und die wunderschöne Insel verleihen. Hier möchte ich nun meine Erlebnisse rund um die Flüchtlingssituation auf der Insel sowie meinen Einsatz berichten.

Über den Einsatz

In den letzten acht Monaten haben mehr als eine halbe Million Flüchtlinge, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien, die Insel Lesbos als Eingang zur Europäischen Union genutzt. Mit Booten kommen sie vor allem nachts vom türkischen Festland über die stellenweise nur wenige Kilometer breite Ägäis. Hunderte verloren bei diesem Versuch ihr Leben. Die Mission „Members assisting Members / Retter helfen Rettern“ der IMRF (International Maritime Rescue Federation) hat zum Ziel, die griechischen Seenotrettungsverbände durch Personal, Material und Know-How zu unterstützen. Denn die griechischen Seenotretter arbeiten seit vielen Monaten unter höchster Belastung an der  Grenze des Möglichen.

Aus diesem Grund verlegte die DGzRS Anfang März den deutschen Seenotkreuzer Minden in den Hafen der Inselhauptstadt Mytilini.

Das Ganze ist ein zeitlich befristeter Ausbildungs- und Unterstützungseinsatz mehrerer nordeuropäischer Seenotrettungsgesellschaften. Die Minden wird nur solange eine Art Brücke im Einsatz sein, bis die griechischen Kollegen in der Lage sind, ihre Aufgaben mit verbesserten Kenntnissen und erneuerter Ausrüstung unter den erschwerten Bedingungen selbst wieder allein wahrnehmen zu können. Es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe.

Die DLRG unterstützt die zwölfköpfige Crew mit einem schnellen, wendigen Schlauchboot  und vier Rettungsschwimmern. In enger Absprache mit der Hellenic Coast Guard wird täglich das Einsatzgebiet der Minden festgelegt. In der Regel verlässt der Seenotkreuzer um fünf Uhr morgens, etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang, den Hafen und patrouilliert entlang der Ostküste. In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass vor allem die frühen Morgenstunden von den Asylsuchenden genutzt werden, um im Schutz der Nacht oder der Dämmerung, die Ägäis zu überqueren.

Bei der früh morgendlichen Patrouille durch den Sonnenaufgang könnte man zeitweise fast den ernsten Grund vergessen, so friedlich wirkt die Ägäis Mitte April. Einmal begleiten uns sogar einige Delfine bei unserer Fahrt.

Während der Patrouille fahren wir immer entlang der Grenze zwischen Europa und der Türkei. Das gestaltet sich mitunter aber gar nicht so leicht, da sich die Frage stellt: Welche Grenzlinie ist denn jetzt die Richtige? Seit Jahrhunderten streiten sich Griechenland und die Türkei um den exakten Grenzverlauf. Um keinen Ärger zu provozieren, halten wir uns an die von der Türkei beanspruchte Grenze. So sind wir sicher, nicht unerlaubt in türkische Gewässer einzufahren, und nicht als Schleuser in griechischen Gewässern zu fungieren, sollten wir Flüchtlinge an Bord nehmen.

Ausguck auf der Minden, www.einfachmalraus.net
Der Aussichtsposten ist immer besetzt

Immer wieder entdecken wir entlang der Küste deutliche Spuren der Flucht. Tausende Schwimmwesten stecken zwischen Felsen, liegen am Strand und hängen in Bäumen in Ufernähe. Immer wieder fischen wir während unserer Kontrollfahrten Schwimmwesten aus dem Meer, oft treiben Reste von Booten an uns vorbei. Reste von Schlauchbooten und Wracks von kleinen Booten säumen die Küste.

zerstörtes Schlauchboot, einfachmalraus.net
Ein zerstörtes Schlauchboot treibt in der Ägäis
Treibende Schwimmweste, einfachmalraus.net
Immer wieder fischen wir Schwimmwesten aus dem Meer

Bei einer Kontrollfahrt in den Norden der Insel machen wir an einem Beobachtungsposten der NGOs „Boat Watch“ und LighthouseRelief halt.

LightHouse Relief Beobachtungsposten, einfachmalraus.net
Beobachtungsposten von LigthHouse Relief

Sie haben eine Leuchtturmruine umfunktioniert. Von hier aus beobachten sie rund um die Uhr das Meer, helfen Schutzsuchenden die gefährlichen Felsen zu umfahren und sicher an Land zu kommen, informieren Rettungskräfte wenn Hilfe benötigt wird. Anna, eine Studentin aus Heidelberg, die schon seit vier Wochen auf Lesbos ist, erzählt, dass deutlich weniger Flüchtlinge nach Lesbos kommen, seit das EU-Türkei-Abkommen in Kraft ist. Nur noch vereinzelt erreichen Boote die Küste – zuletzt ein kleines Sportboot, besetzt mit dreizehn völlig verängstigten Afghanen.

Wir fahren mit unserem Schlauchboot die Küste unterhalb des alten Leuchtturms ab und machen uns ein Bild von dem, was hier noch vor wenigen Wochen in der Zeit vor dem Abkommen trauriger Alltag gewesen sein muss.

Diese Bilder brennen sich mir in den Kopf. Auf einem Haufen zählen wir die Reste von mehr als zwanzig Schlauchbooten. An das Zählen von Schwimmwesten denkt niemand – es sind einfach zu viele. Überall findet man persönliche Gegenstände: Spielzeug, Kleidung, Kinderschuhe, Kuscheltiere, Plastiktüten in denen das Leben einzelner Menschen steckt. Ein beklemmendes Gefühl.

Wie schnell es gehen kann, dass Menschen an einem der schlecht zugänglichen Strandabschnitte landen, erleben wir bei einer Kontrollfahrt an einem anderen Morgen. Nur wenige Minuten, bevor wir den Abschnitt erreichen, trifft ein Boot mit 36 Personen, unter ihnen viele Frauen und Kinder auf Land. Es wurde die letzten Meter von einem Boot der deutschen NGO Sea-Watch und einer schwedischen Frontex-Einheit begleitet. Wir beobachten aus der Ferne wie die Flüchtlinge sicher europäischen Boden betreten. Wir bieten medizinische Hilfe an und können, als diese dankend abgelehnt wird, unsere Patrouille fortsetzen.

Flüchtlingsboot sicher am Ufer, einfachmalraus.net
Ein Flüchtlingsboot hat es an Land geschafft

An unsere Kontrollfahrten schließt sich meist noch eine Übungseinheit an. Wir wollen vorbereitet sein auf den Ernstfall. Wie evakuieren wir ein Flüchtlingsboot am effektivsten? Wie können wir viele im Wasser schwimmende Personen so schnell wie möglich aus dieser Gefahr befreien und wie können wir Personen von schlecht zugänglichen Stellen, zum Beispiel vorgelagerten Felsen, am sichersten retten? Diese Trainingseinheiten sind wichtig, nicht zuletzt da die Crew sich größtenteils erst an Bord kennen gelernt hat. Zu einigen Übungen gesellen sich spontan andere Rettungseinheiten.

Solche Tage mit vielen Stunden auf See sind anstrengend, deswegen haben wir immer wieder freie Tage, um uns zu erholen. Diese nutze ich, um die Insel zu erkunden. Im Hafen schaue ich mir die geborgenen Flüchtlingsschiffe an. Die Bilder geben nur bedingt die Situation vor Ort wieder, sprechen aber für sich.

Auch der Besuch einiger Flüchtlingslager hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Direkt hinter unserem Hotel befand sich ein kleines Lager in welchem nur noch Asylsuchende aus der Zeit vor dem EU-Türkei-Abkommen leben. Die Stimmung im Lager erlebe ich als herzlich. Kinder spielen, Erwachsene stehen beisammen und lachen – jemand spielt Gitarre. Ein Flüchtling aus Bangladesh fertigt mit andern Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern Taschen aus alten Schwimmwesten und Flüchtlingsbooten. Die Einnahmen hieraus gehen zu einem Teil direkt an diese Flüchtlinge, zu einem anderen  Teil  in eine Initiative, die Flüchtlinge im Lager Moria mit Essen und Kleidung versorgt.

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Eindrücke aus dem Flüchtlingslager, einfachmalraus.net
Eindrücke aus dem Flüchtlingslager

Das Lager in Moria schaue ich mir ebenfalls an. Das ehemalige Frauengefängnis der Insel gleicht einer Festung. Ich verstehe beim ersten Blick die Proteste der Hilfsorganisationen vor Ort.

Das Lager ist schwer bewacht und immer wieder hört man laute Durchsagen auf dem Gelände. Menschen sitzen zwischen den Baracken, überall hängen Kleidungsstücke. An einem versteckten Loch reichen Helfer Lebensmittel und Kleidung durch den Zaun.

Direkt neben dem Gefängnis sind die Reste des alten, wilden Lagers zu sehen. Hier leben nur noch etwa zwanzig Menschen. Thomas, ein freiwilliger Helfer aus Tübingen, berichtet, dass sie das Lager zurückbauen und den Olivenhain nach und nach für seinen Besitzer wieder zugänglich machen.

In der kommenden Woche berichte ich hier über die andere Seite der Insel. Lesbos als Urlaubsziel, seine Sehenswürdigkeiten und Kulinarik.

Hintergrund:
Die Hellenic Coast Guard und das Hellenic Rescue Team haben Ende des vergangenen Jahres die Nordeuropäischen Seenotrettungsgesellschaften um Unterstützung für den Rettungsdienst in der Ägäis gebeten. Die DGzRS hat entschieden, diesem Hilfegesuch nachzukommen und hat die DLRG um Mithilfe gebeten. Der vorerst auf ein halbes Jahr befristete Einsatz soll griechische Kräfte entlasten. Alle Information zur Mission gibt es auf www.seenotretter-imrf.de. Da der Einsatz vollständig zu Lasten der beteiligten freiwilligen Organisationen geht, freuen diese sich über Spenden.

Spenden könnt Ihr hier:

Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft
IBAN: DE82 2559 1413 7309 0000 00
BIC: GENODEF1BCK

Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger
IBAN: DE30 2908 0010 0100 2338 01
BIC: DRESDEFF290

Erläuterungen:
IMRF: Die International Maritime Rescue Federation ist der Dachverband der Maritimen Seenotverbände.
DGzRS: Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist die ist die deutsche Seenotrettungsorganisation (NGO). Sie ist zuständig für den Such- und Rettungsdienst (SAR: Search and Rescue) bei Seenotfällen. Sie ist vollständig Spendenfinanziert
DLRG: Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ist mit über 550.000 Mitgliedern in über 2.000 örtlichen Gliederungen die größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt. Sie unterstützt oder stellt den Wasserrettungsdienst an den deutschen Küsten sowie im Binnenland. Sie ist größtenteils Spendenfinanziert.
HRT: Das Hellenic Rescue Team ist eine ehrenamtliche Hilfsorganisation, welche sich von Anfang an bemüht hat, in dieser schwierigen Lage zu helfen. Schon früh haben Rettungskräfte des HRT auf Lesvos, Samos und Kos den Seenotrettungsdienst verstärkt. Seit November 2015 ist innerhalb der landesweiten Organisation des HRT ein Nothilfeplan in Kraft getreten, um die Retter auf den drei Inseln zu unterstützen.

Auf den Einsatz habe ich mich unter anderem mit einem „Überleben auf See Training“ vorbereitet. Meinen Bericht dazu findet Ihr hier.

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