Überleben auf See – Training für den Ernstfall
Im April ist es so weit. Im Rahmen der Mission „Members assisting Members (Retter helfen Rettern)“ der International Maritime Rescue Federation (IMRF) werde ich auf dem Seenotkreuzer „Minden“ der DGzRS als DLRG-Rettungsschwimmer eingesetzt. Vom Hafen von Mytilini auf der Ägäisinsel Lesbos werden wir die örtlichen Seenotretter bei der Rettung von Flüchtlingen, welche bei ihrer Überfahrt aus der Türkei in nicht seetüchtigen Booten in Seenot geraten, unterstützen. Damit wir gut vorbereitet in den Einsatz gehen mussten wir einige Voraussetzungen erfüllen und Vorbereitungen durchlaufen. Eines davon ist das „Überleben auf See“-Training im Maritimen Trainings-Centrum der Firma OffTEC.
Eines vorne weg: Wer denkt, ein Überleben auf See-Training sei ein netter Tag im Wasser mit ein wenig planschen und Abenteuer-Feeling, der täuscht sich. Ich behaupte von mir recht trainiert und ausdauernd zu sein. Am Abend dieses Training-Tages war aber auch ich ganz schön platt. Hier eine kurze Chronologie.
Halb acht Uhr morgens. Samstags. Wir haben bereits gefrühstückt und alle schauen noch ein wenig verschlafen drein. Einzig Wolfgang Rauch, Ausbilder von OffTEC und ehemaliger Elitesoldat, ist schon hellwach. Er wird uns als Ausbildungsleiter durch den Tag führen und macht direkt klar: Wir sind nicht zum Spaß hier. Die ersten eineinhalb Stunden verbringen wir mit Theorie. Wie ist eine Rettungsweste aufgebaut, wie löse ich sie aus und wie funktioniert die Automatikfunktion. Wie lege ich die Rettungsweste und den Überlebensanzug richtig an und wie verhalte ich mich im Wasser. Der Überlebensanzug ist eine Art wasserdichter Taucheranzug, welcher es ermöglicht viele Stunden trocken und warm in kaltem Wasser zu überleben. Raach weiß, er hat zwölf Wasserrettungs-Profis vor sich. Daher verkürzt er die Theorie auf das Mindeste. Er will, dass wir ins Wasser kommen und dort zeigen, wie wir uns anstellen. Immerhin lernt man viele Sachen am besten, wenn man sie in der Situation ausprobiert. Also geht es auch schon in die Trainingshalle. Noch ist das Wasser im 15 mal 23 Meter großen und 4,2 Meter tiefen Becken spiegelglatt. Das einzige, was es von einem normalen Schwimmbecken unterscheidet, ist wohl der 1,3 Meter hohe Beckenrand. Wir schlüpfen in unsere Überlebensanzüge, legen die Rettungswesten an und nach ein paar kurzen Worten zum richtigen Sprung machen wir genau das. Wir springen ins rund zwanzig Grad kalte Wasser.
Kurz nach dem Eintauchen ins Wasser bläst sich die Rettungsweste auf. Der prall gefüllte Schwimmkörper streckt den Hals extrem nach oben. Also erst einmal orientieren und ein wenig Luft ablassen. Mit nicht mehr ganz so viel Druck auf dem Kopf und am Hals kann man sich gleich viel besser bewegen.
Nach ein paar Runden Rückenschwimmen verlassen wir das Becken auch schon wieder. Aber nicht einfach über die Pool-Leiter, sondern über eine sogenannte Lotsen-Leiter. Das ist eine überdimensionale Strickleiter, die man nutzt, um auf größere Schiffe zu gelangen. Mit der aufgeblasenen Rettungsweste ein gar nicht so einfaches Unterfangen.
Wieder am Beckenrand wird kurz durchgeatmet und die Ausbilder von OffTEC erklären uns die richtige Schwimmtechnik in einer Gruppe von Menschen im Wasser. Jeder hakt sich bei seinem Vordermann mit den Beinen ein und rudert mit den Armen. Eine Raupe entsteht. Der vorderste Schwimmer gibt den Takt vor, der Hinterste ist der Steuermann. Er muss sich regelmäßig umschauen und die Richtung ändern. Hierzu gibt er ein Signal durch klopfen auf die Schulter des Vordermanns weiter. Nach einer kurzen Demonstration am Beckenrand geht es für uns wieder ins Wasser. Ich versuche mich sowohl als Steuermann als auch als Taktgeber. beides ist beim ersten Mal gar nicht so einfach.
Um im Wasser auf sich aufmerksam zu machen, ist es sinnvoll, so viel Gischt wie möglich zu erzeugen. Diese Veränderung der Wasseroberfläche kann man vom Helikopter aus viele Kilometer weit wahrnehmen. Eine einzelne Person im Wassern dagegen, ist nur ein paar Hundert Meter weit erkennbar, selbst wenn sie Warnkleidung trägt.
Diesmal verlassen wir das Becken dann auch auf einem anderen Weg. Wir haben genug Gischt erzeugt und somit den „Hubschrauber“ auf uns Aufmerksam gemacht. Wir werden mit einem Rettungskorb aus dem Wasser gezogen und an Land abgesetzt und in die dreißigminütige Mittagspause entlassen.
Anschließend dürfen wir mit vollem Magen nicht direkt zurück ins Wasser. Daher folgt ein weiterer kurzer Theorie-Block. Hier geht es um weitere Rettungsmittel. Unter anderem das Rettungsfloß beziehungsweise die Rettungsinsel.
Nach dem theoretischen Unterricht geht es zügig weiter. So schnell wie möglich sollen wir unsere Überlebensanzüge und Rettungswesten anziehen. Nach drei Minuten sind die meisten von uns so weit. Mit einem Sprung aus dem ersten Stock geht es wieder ins Wasser. Dann wird eine Rettungsinsel ins Wasser gelassen. Da es schon mal vorkommen kann, dass diese beim Aufblasen oder Zuwasserlassen verkehrt herum im Wasser treibt, muss jeder von uns einmal darauf klettern und diese umdrehen. Ich kenne das schon vom Raften. Einige kommen dabei aber an ihre Grenzen. Nachdem es alle geschafft haben, klettern wir in die Rettungsinsel und die Wellenmaschine wird das erste mal eingeschaltet. Es schaukelt schon ganz schön in so einer Insel. Nichts für schwache Mägen.
Nachdem wir in der Insel durchgeschüttelt wurden, verlassen wir alle das Wasser über ein Rettungsnetz. Wer an Land ist, hat sich eine Pause verdient. Einigen sieht man die Anstrengung deutlich ins Gesicht geschrieben.
Nach der Pause wird ein Schlauchboot zu Wasser gelassen. Wir steigen vom Boat-Landing-System ins Boot, springen ins Wasser und sollen dann wieder ins Boot klettern. Jetzt steht uns noch eine Abschlussübung bevor. Ein lauter Alarm ertönt. Es ist dunkel, die Wellenanlage produziert gute eineinhalb Meter Wellen, Wind und Nebel ziehen durch die Halle und der Alarmton wird von Blitz und Donner übertönt. Aus dem ersten Stock springen wir nacheinander ins Wasser und müssen uns erstmal sortieren. Wir finden uns in einem Hudle zusammen, so nennt man es, wenn man sich eng aneinander kauert, um in der Gruppe nicht so schutzlos dem Wetter und den Wellen ausgesetzt zu sein. Nachdem wir durchgezählt haben, ob wir vollständig sind, bilden wir wieder eine Kette und schwimmen los. Erst einmal im Kreis. Nach einigen Minuten ertönt immer näher kommendes Hubschrauber-Geräusch. Wir bilden sofort einen Kreis und versuchen durch Strampeln mit den Beinen so viel Gischt wie möglich zu erzeugen. Es klappt. Eine Rettungsinsel wird zu Wasser gelassen, welche wir einer nach dem anderen besteigen. Im Inneren erwartet uns eine Aufgabe, welche wir nur im Team lösen können. Nach endlosen Minuten wird „das Wetter besser“, die Wellen werden flacher und es wird heller. Einigen in der Rettungsinsel ist die Erleichterung vom Gesicht ablesbar. Wir werden noch mittels einer Rettungsschlinge aus der Insel gezogen und haben unser Tagesziel erreicht. Ein ganz schön anstrengender Tag geht zu Ende.
Hintergrund:
Die Hellenic Coast Guard und das Helenic Rescue Team haben Ende des vergangenen Jahres die Nordeuropäischen Seenotrettungsgesellschaften um Unterstützung für den Rettungsdienst in der Ägäis gebeten. Die DGzRS hat entschieden diesem Hilfegesuch nachzukommen und hat aufgrund der Erfahrung anderer Verbände die DLRG um Mithilfe gebeten. Der vorerst auf ein halbes Jahr befristete Einsatz soll griechische Kräfte entlasten und Unterstützung im Auf- und Ausbau von Strukturen vor Ort vorantreiben. Alle Information zur Mission gibt es auf www.seenotretter-imrf.de. Da der Einsatz vollständig zu Lasten der beteiligten freiwilligen Organisationen geht sind diese dringend auf Spenden angewiesen. Auf www.seenotretter-imrf.de findet Ihr auch ein Spendenkonto. Jede Spende wird benötigt!
Erläuterungen:
IMRF: Die International Maritime Rescue Federation ist der Dachverband der Maritimen Seenotverbände.
DGzRS: Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist die ist die deutsche Seenotrettungsorganisation (NGO). Sie ist zuständig für den Such- und Rettungsdienst (SAR: Search and Rescue) bei Seenotfällen. Sie ist vollständig Spendenfinanziert
DLRG: Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ist mit über 550.000 Mitgliedern in über 2.000 örtlichen Gliederungen die größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt. Sie unterstützt oder stellt den Wasserrettungsdienst an den deutschen Küsten sowie im Binnenland. Sie ist größtenteils Spendenfinanziert.
2 Comments
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Anna
Wow, richtig spannender Bericht. Ich finde es gut, dass du so ein ernstes Thema behandelst und dich stark machst!