Erschöpft nach einer langen Radtour
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Warum ich mich quäle – und es jedem empfehlen würde!

Es gibt Menschen, die verbringen ihr Wochenende im Spa. Andere auf dem Sofa mit Netflix, Snacks und Wärmflasche. Und dann gibt es so Leute wie mich: Ich wache morgens auf und denke – „Heute wäre doch ein guter Tag, um mir mal wieder richtig wehzutun.“

Nicht im physischen Sinne. Eher im „Warum zum Teufel mache ich das hier?“-Sinne. Im Sinne von: Zu wenig Schlaf, zu viele Höhenmeter, zu viel Gegenwind. Im Sinne von: Du sitzt auf deinem Rad, seit Stunden bergauf, die Beine brennen, der Puls hämmert irgendwo in Regionen, die eigentlich Ärzten vorbehalten sind – und trotzdem grinst du wie ein Honigkuchenpferd in deinen verschwitzten Buff.

Warum ich mir das freiwillig antue? Ganz einfach: Weil es sich lohnt.


Fallbeispiel: Osterpacking

Andere Menschen suchen zu Ostern Eier – ich suche Schmerzgrenzen.

Während die Republik Schokohasen verputzt, habe ich die Taschen ans Bike geschnallt und bin losgerollt. Wetterbericht? Egal. Schlafplatz? Finde ich schon. Die Idee: Ein paar Tage unterwegs sein. Einfach rollen. Einfach mal raus.

Die Realität: Gegenwindstärke „Mir fliegt gleich der Helm vom Kopf“, Temperaturen irgendwo zwischen „Frühling klingt anders“ und „Warum trage ich keine Skihandschuhe?“. Nachts im Zelt habe ich mich in meinen Schlafsack eingerollt wie ein Dürüm und gehofft, nicht zu erfrieren.

War es bequem? Nein. War es sinnvoll? Vielleicht. Hat es mich glücklicher gemacht als ein Brunch-Buffet? Absolut.


Fallbeispiel: Kattegat – oder: Wenn der Wind ein Charaktergegner wird

Der Kattegatleden in Schweden ist offiziell ein Radfernweg. Für mich war er eher eine persönliche Fehde zwischen mir und einer Naturgewalt namens Wind. Der pustet dort nicht – der zerstört Moral.

Ich weiß nicht, wie oft ich innerlich „Alter, wofür mache ich das hier?“ gedacht habe. Wahrscheinlich alle zwei Kilometer. Vielleicht auch jeden Meter. Es verschwimmt irgendwann, wenn deine Geschwindigkeit dauerhaft im einstelligen Bereich hängt.

Aber dann: Küstenblicke. Einsame Picknickplätze. Menschen, die dir Kaffee anbieten, nur weil du aussiehst wie jemand, der gerade 20 Kilometer lang mit einem Föhn ins Gesicht geschlagen wurde. Und irgendwann – ganz heimlich – verwandelt sich der Schmerz in etwas anderes. In Stolz. In Ruhe. In „Junge, ich zieh das echt durch!“


Fallbeispiel: Moselcross – 4800 Höhenmeter Laternenpfahl

Der Moselcross war dann das Sahnehäubchen im Menü der Selbstgeißelung. Eigentlich eine Mountainbike-Strecke. Ich dachte: „Ach, Gravelbike und Bikepacking geht auch.“

Die Mosel dachte: „Challenge accepted.“

230 Kilometer. 4800 Höhenmeter. Trails, die eher an Treppen erinnerten (oder teilweise Treppen waren). Rampe hoch, Dreck im Gesicht, Schweiß in den Augen, Atem wie ein kaputter Staubsauger. Und dann oben stehen. Arme ausbreiten. Blick auf Fluss und Weinberge. Kein Mensch. Kein Motor. Keine Ablenkung. Nur du und der Beweis, dass du es kannst.


Warum das alles?

Weil das Leben im Alltag viel zu oft bequem und gleichzeitig komplett bedeutungslos ist.

Wir sitzen auf Stühlen, tragen Activwear nur im Büro oder beim Besuch im Zoo und scrollen mit dem Daumen durch fremde Abenteuer, anstatt eigene zu erleben. Und irgendwann fühlen wir uns leer, obwohl wir nie hungrig sind.

Quälerei – die gute Sorte – ist ein Kontrastprogramm.

Sie macht dich wieder wach. Sie bringt dir ein Gefühl zurück, das kein Lieferservice liefern kann: echte Zufriedenheit.Nicht die Dopamin-Blase nach einem Like. Sondern das warme Gefühl, wenn du völlig zerstört in deinem Zelt liegst und dir denkst: „Ich habe mich heute gespürt.“

Warum ich es jedem empfehlen würde:

Nicht, weil jeder 500 Kilometer fahren oder 5000 Höhenmeter sammeln muss. Sondern weil jeder einmal im Leben diesen Moment erleben sollte, in dem der Kopf Nein sagt – und die Beine trotzdem weiter treten.

Weil man unterwegs lernt:

  • Wie wenig man wirklich braucht.
  • Wie stark man wirklich ist.
  • Wie groß ein Kaffee schmecken kann, wenn man ihn sich verdient hat.

Und weil man zurückkommt – nicht als ein anderer Mensch, aber als eine Version von sich selbst, die sich mehr zutraut.

Nein, ich mag es nicht immer, mich zu quälen. Aber ich liebe das Gefühl danach. Und je älter ich werde, desto klarer wird mir: Bequemlichkeit erzeugt selten Erinnerungen.

Aber selbst erreichte Ziele? Schmerz mit Aussicht? Der bleibt.